INTROIBO | AD ALTARE DEI |
Vom Kirchenjahr
Wie der liturgische Gottesdienst dem Raume nach durch die Mauern des Gotteshauses umgrenzt ist, so ist er der Zeit nach von bestimmten heiligen Zeiten eingeschlossen, aus denen sich das Kirchenjahr zusammensetzt.
Das Kirchenjahr wird in seinem Aufbau vor allem bestimmt durch die Geheimnisse des Lebens Christi. Es führt uns das Erlösungswerk Christi in seinen bedeutenderen Einzelheiten vor, wie es sich historisch in den vergangenen Tagen der Menschwerdung des Sohnes Gottes und seines Erdenlebens vollzogen hat. Aber diese Geschehnisse der Vergangenheit erscheinen in der Feier des Kirchenjahres als lebendige Wirklichkeit vor uns. Diese Wirklichkeit beruht auf der Tatsache, daß in der eucharistischen Feier und durch sie derjenige persönlich, wahrhaft und wesenhaft in unserer Mitte gegenwärtig wird, der einst geboren wurde, litt und starb, und der jetzt als verherrlichter Christus im Himmel thront; und auf der Tatsache, daß er als das verklärte Haupt des Leibes der Kirche beständig auf die einzelnen Glieder einwirkt, als der Weinstock beständig in den Zweigen wirksam ist und in lebendiger Verbundenheit ihnen von seinem eigenen Leben mitteilt, d.h. die Gnaden in ihnen wirksam macht, die er in den verschiedenen Geheimnissen seines Erdenlebens seiner Kirche einmal erworben hat. Je mehr einer sich dem Kirchenjahr anschließt, in um so engere Verbindung und Lebensgemeinschaft tritt er mit Christus, dem Haupte und Mittler, um so vollkommener gibt er Gott, was Gottes ist, und um so mehr ergießt sich das göttliche übernatürliche Licht und die Gnade über ihn. Wie das bürgerliche Jahr von der Sonne, so wird das Kirchenjahr von der geistigen Sonne, von Christus, bestimmt, den schon der Seher des Alten Bundes (Malach. 4,2) mit der Sonne vergleicht. Er ist der König aller Tage und Zeiten. Von diesem erhabenen Mittelpunkte des Kirchenjahres gehen die einzelnen Feste und Festzeiten wie Strahlen und Strahlengarben aus. Doch wird das heilige Jahr der römischen Kirche auch ziemlich stark beeinflußt durch den Lauf des natürlichen Jahres. Es geht nicht bloß äußerlich, sondern auch in innerem sinnvollem Zusammenklang, mit den natürlichen Jahreszeiten. So entspricht z.B. bei uns die November- und Dezembernatur mit ihrem tiefsten Sonnenstand dem Adventsgedanken, der erwartungsvoll auf Christus als den «Aufgang aus der Höhe» gerichtet ist. In den Tagen des Geburtsfestes des Herrn wird der Erde die wiederaufsteigende Sonne gleichsam neu geboren. Die Frühlingsstürme passen gut zu den Spannungen zwischen Christus und seinen Feinden, wie sie uns die Fastenzeit vorführt. Dann ist der sonnige Frühling mit der neuergrünten Erde ein Sinnbild für den Sieg der Auferstehung, und das Pfingstgeheimnis spiegelt sich ab im vollen Glanz der die Saaten ausreifenden Sommersonne. In die Spätzeit des Kirchenjahres fällt das Fest Allerheiligen: das Gedächtnis gleichsam der unübersehbaren, reichen Ernte, die der ewige Hausvater und Herr seines «Weinbergs», der Kirche, in die lichten Kammern des Himmels eingebracht hat. Der Ablauf des Kirchenjahres ist in klar bestimmten Festkreisen geordnet. Man unterscheidet am besten zwei Festkreise: den Weihnachts- und den Osterfestkreis. Das Kirchenjahr beginnt mit der Weihnachtszeit (im weiteren Sinn), in deren Mittelpunkt das Geburtsfest Christi steht. Ihm geht der Advent voraus. Die Weihnachtszeit im engeren Sinn erreicht einen zweiten Gipfelpunkt im Hochfest der Erscheinung Christi. Den Abschluß bildet Mariä Lichtmeß am 2. Februar. Der Weihnachtszeit folgt die umfassende Osterjahreszeit. Ostern ist innerhalb einer weiten Spanne ein bewegliches Fest. Dieser Beweglichkeit folgen auch Anfang und Ausgang der Osterzeit; deshalb können Ausgang der Weihnachtszeit und Anfang der Osterzeit ineinanderlaufen und sich wie zwei Kreise schneiden; denn öfters fällt Septuagesima noch vor Lichtmeß. Mit dem Septuagesima-Sonntag beginnt der Osterkreis. Das Ostergeheimnis umfaßt nach alter tiefer Anschauung einen doppelten Gedanken: Opfertod Christi und Auferstehung aus dem Grabe. Dementsprechend zeigt der Osterkreis im weitern Sinne zwei deutlich unterschiedliche Hälften. Die erste (Vorfasten- u. Fastenzeit) ist mehr dem Leidensgedanken und der Buße gewidmet und bereitet auf Ostern vor. Mit der Auferstehungsliturgie hebt die zweite Hälfte an, die eigentliche «österliche Zeit» im engern Sinn mit ihrer weißen Farbe; diese Zeit schließt in der römischen Liturgie mit Pfingsten und seiner Oktav ab. Die lange Reihe der Sonntage der Zeit nach Pfingsten bis zum Schluß des Kirchenjahres bringt vielfach Widerhall von Osterklängen, Rückbeziehungen auf Gedanken des zweiten Halbkreises der Osterjahreszeit und Weiterentwicklung dieser Gedanken. Besonders tritt hervor der Gedanke vom Ausbau und Blühen des gegründeten Gottesreiches Christi. Ganz im Einklang damit steht die reiche Zahl und hervorleuchtende Stellung der Heiligenfeste in diesem Jahresabschnitt; denn die Heiligen sind herrliche Früchte, Zierden und Vorbilder im Gottesreich unsrer Kirche. Bald nach dem Allerheiligenfest schließt das liturgische Jahr mit einem Ausblick auf den Abschluß des irdischen Reiches Gottes und der Welt im Endgerichte. Der folgende neue Advent nimmt diesen Gedanken auf und spinnt ihn weiter ins neue Kirchenjahr hinein. Er ist ein Blick auf den Endsieg Christi und die Vollendung unsrer Erlösung. Abtei Mariawald |